Während viele Menschen und sogar Unternehmen von X – früher bekannt als „Twitter“ – fliehen, stellt sich die Frage, welcher Dienst eine passende Alternative bieten kann.
Die Social-Network-Landschaft ist dieser Tage zerrüttet – ja, sie liegt sogar in Trümmern. Auch wenn der Niedergang von X in gewisser Weise vorhersehbar war, so ist es doch erstaunlich, wie schnell ein Dienst, der einst ein Synonym in der Technik- und Nachrichtenwelt war, doch ruiniert werden kann. Wie auch immer, jedes Scheitern ist eine Chance zur Optimierung und so wuchsen im Laufe der Jahre andere Netzwerke mit dem Fokus auf Dezentralisierung heran – eines davon, quasi als Flaggschiff vom dezentralen Fediverse, war Mastodon. Doch auch nebenbei und irgendwie seit jeher im Schatten lauernd, ist der virtuelle Nachfolger von Twitter seit vier Jahren dank einer Investition von fast 13 Millionen US-Dollar längst in Arbeit: Bluesky, geleitet von Jay Graber und dem ehemaligen Twitter-CEO und Mitbegründer Jack Dorsey – ein dezentrales neues soziales Netzwerk, das auf dem AT-Protokoll basiert.
Vom Blue Bird zu Bluesky
Zunächst einmal sieht die Website von Bluesky recht einfach aus – und ja, sie ist noch in Arbeit. Der Einstieg ist jedoch nicht ganz so einfach, denn der Zugang zum neuen Social Network ist – in meinen Augen – absichtlich verkrüppelt. Nicht jeder kann sich anmelden, man braucht Einladungscodes – wer dachte, dieses an die alten Tage der frühen OnePlus-Smartphones erinnernde Szenario sei zu Grabe getragen worden, liegt falsch. Man braucht diesen Code, um im Sandkasten von Bluesky spielen zu können – und den zu bekommen, kann durchaus mühsam sein.
Wie immer kommen Prominente und Personen oder Organisationen von öffentlichem Interesse auf die Plattform, um neue Follower und Abonnenten zu gewinnen. In Momenten, in denen viele von X.com fliehen, ist Bluesky eine willkommene neue Heimat. Auch hier in Deutschland hat sich dieses Fluchtszenario in den letzten Monaten drastisch erhöht, da viele bekannte Accounts zu Bluesky abgewandert sind: Gute Köder fangen ja bekanntlich gute Fische und mit einer soliden Basis an bekannten Accounts setzt natürlich der bekannte Schneeballeffekt ein und generiert Follower.
Solltet Ihr bereits in der Lage sein, einen Einladungscode zu bekommen zu haben, steht einer Anmeldung bei Bluesky nichts mehr im Wege, da die Anmeldung dann recht einfach aufgebaut ist: Erstellt Euer Konto, indem Ihr Euren Einladungscode eingebt, wählt Euer Handle (welches dem Benutzernamen mit dem Suffix @bsky.social entspricht) aus, gebt die passende E-Mail-Adresse und ein Passwort ein und schon kann die Reise auf Bluesky losgehen.
Der Zugang zum neuen Service könnte so einfach sein, wenn nicht dieser unsägliche Trend mit stets zu knappen Einladungscodes wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben werden würde. Ich persönlich weiß nicht, ob es darum geht, den Dienst „exklusiver“ zu machen oder Spammer und Bots draußen zu halten – schließlich tut dieses Szenario aber seine Wirkung und es kann eben nicht jeder mal eben so auf Bluesky aktiv werden.
Natürlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine Einladung zu bekommen – seid also geduldig und wartet, bis ihr euren Platz in der Warteliste nutzen konntet oder lasst Euch von einem anderen Bluesky-Nutzer einladen. Parallel gibt es aber auch Initiativen wie z.B. die invitation exchange platform meines bevorzugten Mail-Providers mailbox.org: Zahlende Kunden können hier eine Einladung anfordern oder ihre Codes mit anderen teilen: In meinem Fall hat es keinen halben Tag gedauert, bis mich (unerwartet) die Mail mit einer Einladung erreicht hat. Ob das nun reines Glück oder eine entsprechend laue Nachfrage war – wer weiß das schon?
Erste Schritte
Solltet ihr es geschafft haben, einen Einladungscode zu ergattern und ihn selbst nutzen wollen, habt ihr wahrscheinlich bereits euer Konto mit dem @bsky.social-Handle erstellt und ihr kennt die überschaubare, an das alte Twitter erinnernde Optik des Dienstes bereits. Bluesky konzentriert sich zwar auf das Wesentliche und lässt aktuell noch einige der bekannten Funktionen vermissen, aber man fühlt sich auf jeden Fall schon beim ersten Besuch vertraut mit dem Look ’n Feel.
Auf der linken Seite findet Ihr selbsterklärend Links, den allgemeinen Feed, aktuelle Benachrichtigungen, Moderationsstatistiken, Euer Profil und die Möglichkeit für allgemeine Einstellungen. In der Mitte wird der Feed mit den Konten angezeigt, die ihr abonniert habt. Auf der rechten Seite befinden sich ein Suchfeld, eine Option zum Entdecken anderer Konten und weitere Feeds. Bei letzteren handelt es sich in der Tat um benutzerdefinierte Algorithmen, die Benutzer mit ein wenig Programmierkenntnissen erstellen können, wie es beispielsweise hier dokumentiert ist.
Nutzer-Verifizierung
Es gibt (noch?) kein blaues, gelbes, goldenes oder sonstiges Häkchen, um eure Identität zu verifizieren. Stattdessen könnt Ihr Euer Handle, zum Beispiel @pifferi.bsky.social, in – in meinem Fall – @oliver.pifferi.io ändern, indem ihr einen bestimmten DNS-Eintrag zu einer Eurer Domains hinzufügt. Das ist zwar immer noch keine offizielle Verifizierung im bekannten Stil, aber was kann eure Online-Identität besser beweisen als der Zugriff auf die DNS-Einstellungen einer Domain, die ihr selbst besitzt?
Ruft zunächst die Einstellungen auf und verwendet die Option „Handle ändern“, wie ihr es auch bei der Änderung in ein anderes @bsky.social-Handle tun würdet.
Klickt dann hier auf die Option „I have my own Domain“:
Nun erscheint ein weiteres Fenster mit den Verifizierungs-Einstellungen, die Ihr in den DNS-Einstellungen Eurer Domain eintragen müsst. Gebt den Namen der Domain in das obere Feld ein und achtet dann darauf, welcher TXT-Eintrag anschließend erzeugt wird. Dieser Eintrag mit dem „_atproto“-Präfix und dem spezifischen Wert muss dann als neuer Eintrag in die DNS-Konfiguration eurer Domain aufgenommen werden.
Wenn ihr das im Backend der Domänen-Verwaltung eures Providers getan habt, klickt auf „Verify DNS-Record“ und, je nach Provider und damit einhergehender Aktualisierungs-Geschwindigkeit wird euer Handle dauerhaft in @alice.com (oder in meinem Fall @oliver.pifferi.io) geändert. Falls ihr keinen Zugriff auf die DNS-Konsole habt, könnt ihr auch eine TXT-Datei im Webroot Eurer Domain ablegen und sie alternativ auf diese Weise verifizieren. Weitere Informationen zur Verifizierung auf Bluesky findet ihr hier!
Mein (vorläufiges) Fazit
Bluesky sieht eigentlich genau so aus, wie X/Twitter früher einmal aussah. Es fehlen noch Funktionen, an die sich viele frühere Nutzer sicherlich gewöhnt haben werden und die ganze Plattform ist definitiv im „work in progress“-Status. Parallel füllt sie sich definitiv aber mit vielen Leuten, die von X angeschwemmt werden oder mit Nutzern, die ihren Bluesky-Account parallel zu ihrem Mastodon-Account betreiben wollen – was ziemlich interessant ist, auch in Bezug auf mögliches „Bridging“ von Beiträgen. Wenn es euch also nichts ausmacht, mit einem neuen sozialen Netzwerk zu beginnen, das von demselben Krypto-Bro geschaffen wurde, der einst für das alte Twitter verantwortlich war, bevor er die gesamte Plattform verkaufte (und wenn ihr damit einverstanden seid, dass dies möglicherweise wieder geschehen könnte), so dürfte Bluesky für die Einfachheit stehen, die den ehemaligen blauen Vogel einst so beliebt machte.
Den klassischen PR-„Bullshit“ in Sachen „Föderation“ und „Dezentralisierung“ ist etwas, das sich in der Zukunft noch bewähren muss: Ohne den Ansatz eines offenen, wirklich dezentralisierten und föderierten Standards wird es allerdings auch die Erkenntnis geben, dass nur eine weitere siloartige Plattform geschaffen worden ist. Bis dahin und angesichts der Tatsache, dass Direktnachrichten möglicherweise irgendwann in der Zukunft integriert werden, könnte Bluesky eine Alternative sein, die halt auf einem weiteren Protokoll basiert. Der Dienst sieht aktuell schlank aus, bietet Grundfunktionen und man wird damit wahrscheinlich auch optisch viele Nutzer einfangen, die von X geflohen sind. Wie immer wird es aber interessant sein zu beobachten, wie diese Plattform wachsen und sich entwickeln wird, sobald der künstlich verkürzte Anmeldeprozess wegfällt und inwieweit sie mit dem Fediverse in Bezug auf den „Aufbau einer gesünderen Gemeinschaft“ konkurrieren kann.
Die meisten der User, die von der nun dunklen Seite des Webs (X.com) fliehen, werden durchaus auf der Suche nach einem neuen Zuhause sein. Auch das Thema „Datenschutz“ dürfte eine der Herausforderungen sein, denen sich auch Bluesky stellen werden muss, wenn der Dienst erst einmal etabliert ist.
Der Lauf der Zeit
Letztendlich wird es (wie immer) die Zeit zeigen, wie es mit Bluesky weitergeht – auch die Themen Wachstum, Investoren etc. werden irgendwann sicherlich eine Rolle spielen. Als jemand, der schon vor einer ganzen Weile auf Mastodon umgestiegen ist und eine eigene Instanz betreibt, hat aber auch Bluesky seinen Charme und erinnert an Zeiten, in denen Social Networking weniger toxisch war als heute. Letztendlich werden die Benutzerfreundlichkeit und die Menschen, Gruppen und Institutionen auf der jeweiligen Plattform die Grundlage für den (mehr oder weniger vorhandenen) Erfolg bilden – dies ist eine Herausforderung, mit der sich alle Plattformen der „Post-Twitter“-Ära zwangsläufig auseinandersetzen müssen.
In Anbetracht der Ergebnisse all dieser Überlegungen IST Bluesky trotz des albernen Einladungssystems zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels durchaus einen Besuch wert. Erwartet aber keine ausgereifte Plattform wie das ehemalige Twitter den aktuellen Reifegrad von Mastodon! Der Dienst ist frisch aus dem digitalen Ei geschlüpft und obwohl der aktuelle Ansatz unsere nostalgischen Erinnerungen ganz gut bedient, zeigen fehlende Hashtag-Unterstützung, keine möglichen Video-Uploads oder sogar grundlegende Dinge wie fehlende Zwei-Faktor-Authentifizierung in Sachen Sicherheit, dass die Reise noch lang ist, auch wenn der Weg durchaus auch das Ziel sein kann.
Apropos Föderation und Dezentralisierung: Ich bin auch sehr gespannt, ob das Self-Hosting auf eigenen Bluesky-Servern auf Basis des AT-Protokolls möglich sein wird, wie wir das von den Fediverse-Lösungen kennen. Die Zeit wird es zeigen, aber jede Option ist besser als die Überreste des sozialen Netzwerks, das einst dazu diente, in 140 Zeichen zu absorbieren, was in der Welt gerade so vor sich geht!
Wenn Ihr daran interessiert seid, folgt mir doch entweder auf Mastodon oder Bluesky! Klickt gerne auf den entsprechenden Link und Ihr werdet zu meinem jeweiligen Profil weitergeleitet. Vielleicht entdecken wir ja gemeinsam, wie sich die Landschaft der sozialen Medien in naher Zukunft verändern wird – ob mit Bluesky oder ohne?